Impulsreferat – Was macht ein gutes Bundesteilhabegesetz aus?

Impulsreferat Carl-Wilhelm Rößler, Forum behinderter Juristinnen und Juristen

Carl-Wilhelm Rößler

Carl-Wilhelm Rößler

Nachfolgend stichpunktartig die wichtigsten Aussagen zum Vortrag. Es handelt sich hierbei um ein Gedächtnisprotokoll, sodass der Vortragende ggf. nicht immer absolut detailgetreu widergegeben wurde.


Bedeutung der UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK) für die Entstehung des Bundesteilhabegesetzes (BTHG)

  • Wie kann man das System der unsäglichen Eingliederungshilfe zu einem neuen Teilhaberecht weiterentwickeln?
  • UN-BRK gibt uns ganz neue Kraft
  • Bisherige Entscheidungen der Sozialpolitik gönnerhaft, eine Wohltat
  • Durch UN-BRK neuer menschenrechtlicher Bezug
  • Verletzung der UN-BRK bedeutet Verletzung einer Menschenrechtskonvention
  • BRK gibt uns die Möglichkeit härter und nachdrücklicher Weiterentwicklungen zu fordern
  • Bisherige Diskussionen über neue Gesetze überwiegend fiskalisch geprägt – es geht ums Geld
  • Nur „keine Einschränkungen“ – „Weiterentwicklung“ und „Verbesserung sind kein Thema“

Bundespolitische Voraussetzungen für das BTHG

  • Koalitionsvertrag stimmt halbwegs optimistisch: „Wir wollen die Menschen, die aufgrund einer wesentlichen Behinderung nur eingeschränkte Möglichkeiten der Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft haben, aus dem bisherigen „Fürsorgesystem“ herausführen und die Eingliederungshilfe zu einem modernen Teilhaberecht weiterentwickeln.“
  • Es muss ein Signal an die Politik gehen:
    • Wir beobachten euch und wir wissen wovon wir reden
    • Es muss Schluss sein mit dem Sozialhilfesystem mit Anrechnung von Einkommen und Vermögen
    • Gleichberechtigte Teilhabe

Wo stehen wir im Moment?

  • Leistungen der Eingliederungshilfe kommen überwiegend aus Sozialhilfe
  • Strukturprinzipien der Sozialhilfe:
    • Nachrangigkeit und Bedürftigkeitsabhängigkeit (nur wer arm ist bekommt Hilfe – Vermögensgrenze von 2600 € liegt noch unter der rechtlich definierten Vermögensgrenze für Hartz IV)
    • Beschränkung auf das unbedingt notwendige: so wenig wie möglich und so billig wie möglich
    • Emotionaler Aspekt der Sozialhilfe: extremes Machtgefälle zwischen Staat und Mensch – Gefühl der Ohnmacht.
    • Willkür – Sozialhilfebestimmungen können jederzeit geändert werden
  • Bei einem Unfall bekommt man keine Sozialhilfe solange man noch irgendwelches Vermögen hat – beispielsweise einen Bausparvertrag
  • Bei allem was wir uns wünschen, werden wir daran gemessen, ob das für einen Sozialhilfeempfänger angemessen ist (einfacher, bescheidener Lebensstil)
  • Unvereinbar mit der Forderung aus der UN-BRK nach einer „vollen und wirksamen sowie gleichberechtigten Teilhabe“
  • Forum behinderter Juristinnen und Juristen fordert Teilhabeleistungen für Menschen mit Behinderung raus aus der Sozialhilfe
  • Viele Akteure aus der Politik halten den derzeitigen Zustand für ein Naturgesetz (weil es schon 60 Jahre so ist) – Schwerkraft ist ein Naturgesetz, die derzeitigen gesetzlichen Regelungen für Assistenz sicherlich nicht

Anforderungen an ein gutes Teilhabegesetz im Sinne von Assistenz

  1. Personenzentriert
  • Der Mensch muss aus der Sozialhilfe befreit werden – nicht die Eingliederungshilfe!
  • Dies gilt auch für ergänzende Hilfe zur Pflege
  • Wenn nur die Eingliederungshilfe aus der Sozialhilfe genommen wird, werden einige Sozialhilfeträger ihre Leistungen umbenennen in Hilfe zur Pflege oder ähnliches
  • Einige Sozialhilfeträger haben das schon angekündigt – einige sogar schriftlich
  1. Paradigmenwechsel hin zu „Nachteilsausgleich“
  • Bisher Fürsorge und Fremdbestimmung
  • Nimmt uns die Kraft und Berechtigung Veränderungen zu fordern
  • Nachteilsausgleich wie bei KFZ-Steuer, Einkommenssteuer, Parkplätzen oder öffentlichem Personennahverkehr
  1. Veränderung des Behinderten- bzw. Behinderungsbegriffs
  • SGB XII zielt vor allem auf Defizite ab
  • UN-BRK schafft sehr offenen Begriff: erst durch eine Beeinträchtigung in Kombination mit den Barrieren in der Gesellschaft entsteht die Behinderung
  • Fürsorge bewirkt Mitleid und Fremdbestimmung
  1. Selbstbestimmung
  • In politischer Sprache akzeptiert, aber Hilfssysteme sprechen eine andere Sprache
  • Beispiel: berufliche Reha – bestimmte Berufswege werden vorgeschlagen und man muss sich diesem Weg anpassen
  • Selbstbestimmung führt zu mehr Leistungseffizienz (oft sind Leistungen überteuert, eben weil sie nicht passen)
  1. Volle wirksame Teilhabe gleichberechtigt mit anderen
  • Bisher Minimalversorgung der Sozialhilfe
  • Maßstäbe der UN-BRK müssen gelten
  • UN-BRK kein Sonderrecht – es soll lediglich die gleiche Teilhabe gesichert werden, die für andere selbstverständlich ist
  • Es geht nicht um „Besserstellung“
  1. Stärkung des Prinzips der Inklusion
  • Derzeitige Strukturen sind geprägt von Sonderregelungen (Beispiel: Werkstätten für Menschen mit Behinderung)
  • Bestimmte Themen bisher noch überhaupt nicht vorgesehen (z.B. Elternschaft mit Behinderung, Elternassistenz etc.)
  • Inklusion muss sich auf alle Lebensbereiche beziehen
  1. Diskriminierungsbegriff der UN-BRK
  • Sieht Diskriminierung auch dann als gegeben, wenn angemessene Teilhabeleistungen oder -vorkehrungen verweigert werden
  • Absolutes Neuland – muss erst einmal einen Platz in den Köpfen der Akteure finden
  1. Wegfall von Anrechnung von Einkommen und Vermögen
  • Behinderung und Bedürftigkeit haben nichts miteinander zu tun
  • Eigentlich ein Skandal, dass Wegfall der Anrechnung begründet werden muss
  • Volle und wirksame Teilhabe ist nicht erreichbar, wenn man erst mal finanziell ausbluten muss
  • Grundlegende Bedürfnisse in unserer Gesellschaft mit derzeitiger Regelung nicht erreichbar (berufliche Entfaltung, Job ausüben, Partnerschaft, Ehe, Familie gründen)
  • Es geht nicht nur um hochdotierte Jobs; Einkommens- und Vermögensgrenzen ziehen schon bei mittleren Gehaltsgefügen und Teilzeitstellen
  • Geht nicht darum Millionäre rauszuziehen
  • Grenzen sind willkürlich und verschwindend gering
  • Im Grunde ist das jetzt der letzte von drei Schritten
    • Schritt: Viele Eingliederungshilfeleistungen bedürftigkeitsunabhängig (§ 92 Abs. 2)
    • Schritt: Entlastung von Eltern volljähriger Menschen mit Behinderung
  1. Stärkung des persönlichen Budgets
  • In Hinsicht auf Leistungseffizienz
  • Gutes Modell für individuelle Konzepte
  • Innovativ, effektiv und kostengünstig
  1. Stärkung der Assistenz
  • Bisher sehr stiefmütterlich behandelt
  • Assistenz ist keine Notlösung!
  • Assistenz bietet die beste Perspektive, um selbstbestimmt und gleichberechtigt an der Gesellschaft teilzuhaben
  1. Budget zur Arbeit
  • Menschen, die eigentlich in eine Werkstatt gehen sollten, bekommen das dort bezahlte Geld bereitgestellt, um auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt einen Job zu suchen
  • Werkstätten als klassische Instrumente der Nicht-Inklusion
  1. Unabhängige Beratung
  • Ergänzung zu Beratung durch den Kostenträger
  • Zusätzlich: Verbesserung der Beratung durch Kostenträger
  1. Elternschaft mit Behinderung
  • Wichtigkeit von Familie in der Gesellschaft muss auch für Menschen mit Behinderung gelten
  • Elternassistenz, Mobilitätshilfe müssen klar geregelt werden
  1. Mobilitätshilfe
  • KFZ-Hilfe auch außerhalb des Arbeitslebens (beispielsweise für Ehrenamt oder Elternschaft)
  1. Teilhabegeld
  • Für kleinere, behinderungsbedingte Aufwendungen (teureres Hotelzimmer, Kosten für Begleitperson etc.)
  • Unbürokratisch
  • Politik sperrt sich extrem, obwohl ähnliches Konzept mit Blindengeld besteht
  1. Menschenrechte nicht zum Nulltarif
  • Massiver Affront: „Teilhabegesetz darf keine eigene Kostendynamik entwickeln“
  • Es geht um massive Nachholbedarfe
  • Gegenfinanzierungsvorschlag (Steuerfreibeträge wegfallen lassen) wurde wegen möglicher schlechter Presse abgelehnt

Fazit

  • Anforderungen ließen sich mit geringem finanziellen Aufwand umsetzen
  • Häufig existieren schon entsprechende Lösungen, allerdings nur in Einzelfällen
  • „Es geht hier um Menschenrechte und die stehen nicht unter einem Kostenvorbehalt!“

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