BTW2021: Unsere Forderungen im Detail

Partei-Logos1. Einkommens- und Vermögensanrechnung für Assistenzleistungen beenden!

Menschen mit Behinderungen sind soziale Dienstleistungen zu bieten, die ihnen den gleichen Lebensstandard ermöglichen wie Menschen ohne Behinderungen mit vergleichbarem Einkommen. Dies stellte der UN-Fachausschuss für die Rechte von Menschen mit Behinderung (CRPD) bereits 2015 in seinen abschließenden Empfehlungen an Deutschland zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention fest. Jede Form der Anrechnung von eigenem Einkommen und Vermögen verringert den Lebensstandard der Menschen mit Behinderungen im Vergleich zu Menschen ohne Behinderungen und verstößt daher gegen die UN- Behindertenrechtskonvention.

Ungeachtet dessen, verzichtete der Gesetzgeber auch mit dem BTHG nicht auf die Einkommens- und Vermögensanrechnung (vgl. § 136 ff. SGB IX), obwohl nach unseren Berechnungen absehbar war, dass die Einnahmen durch die neue Methodik nach dem Bruttoprinzip drastisch sinken würden. Lediglich der sehr kleine Personenkreis der Menschen mit behinderungsbedingt hohem Assistenzbedarf (Pflegegrad 4/5) und durchschnittlichem oder höherem Einkommen erfuhr durch das BTHG keine finanzielle Entlastung. Im Gegenteil: Personen dieser Gruppe, die erst nach dem 1.1.2020 einen Antrag auf Leistungen stellen, müssen einen höheren Kostenbeitrag leisten als nach altem Recht. Außerdem steht die Wirksamkeit der Übergangsregelung nach § 150 SGB IX in Frage, insbesondere bei Veränderung von Lebenssituation oder Einkommen.

Im Sinne der gleichberechtigten Teilhabe der Menschen mit Behinderungen, wie sie die UN-Behindertenrechtskonvention fordert, muss die Anrechnung von eigenem Einkommen und Vermögen unverzüglich beendet werden.

Dabei ist festzustellen: Die Verwaltungskosten zur Erhebung der Kostenbeiträge sind trotz „vereinfachter“ Berechnungsmethodik unverändert hoch (siehe zweiter Zwischenbericht der Kienbaum International Consultants GmbH zur wissenschaftlichen Untersuchung der modellhaften Erprobung der Verfahren und Leistungen nach Artikel 1 Teil 2 des Bundesteilhabegesetzes, Kapitel 5.1.3.2). Das Risiko einer Flut von Neuanträgen durch den Wegfall der Anrechnung ist äußerst gering. Dies zeigen einerseits die Ergebnisse aus dem Zwischenbericht der o.g. Kienbaum-Studie in Kapitel 5.1.3.1. Andererseits ist die Finanzierung der hohen Assistenzkosten, die bei Personen mit Pflegegrad 4/5 anfallen, aus eigenem Einkommen nicht realistisch.

Mit Nachdruck sei an dieser Stelle auf unsere Stellungnahme zum Angehörigen-Entlastungsgesetz hingewiesen. Es ist nicht vermittelbar, warum Angehörige, die gegenüber Leistungsempfängern nach dem SGB XII unterhaltsverpflichtet sind, bis zu einem Jahreseinkommen von 100 000 Euro und Eltern, deren volljährige behinderte Kinder Eingliederungshilfeleistungen beziehen, vollständig vom Unterhaltsrückgriff durch den Sozialhilfeträger ausgenommen werden und den Menschen mit Behinderungen selbst wird mit rund 30 000 Euro nicht einmal ein Drittel(!) des Jahreseinkommens zugestanden, bis zu dem kein eigener Kostenbeitrag zu leisten ist. (Die Einkommensgrenze ist im Bundesteilhabegesetz definiert und berechnet sich für sozialversicherungspflichtig Beschäftigte mit 85% der jährlichen Bezugsgröße zur Sozialversicherung, derzeit 33 558 Euro. Bei Renteneinkünften werden sogar nur 60% der Bezugsgröße anrechnungsfrei gestellt.)

2. Kein Zwangspoolen von Assistenzleistungen!

Gem. §116 Abs. 2 SGB IX können seit dem BTHG Leistungen der Assistenz an mehrere Leistungsberechtigte gemeinsam erbracht werden. Ob die Leistungen gemeinsam erbracht werden, liegt im Ermessen des Kostenträgers, der lediglich auf „Zumutbarkeit“ prüft.

Die gemeinsame Erbringung von Leistungen im Rahmen von persönlicher Assistenz ist unserer Erfahrung nach weitgehend unrealistisch. Das Kriterium der Zumutbarkeit gibt dem Kostenträger die Möglichkeit, Pooling von Leistungen gegen den Willen von Betroffenen zu verordnen. Dieses Zwangspooling schränkt unser Menschenrecht gem. UN-BRK Artikel 19 ein zu entscheiden, wo, wie und mit wem wir leben wollen. Freiwillige gemeinsame Leistungserbringung kann möglich sein, wobei ein praktikabler rechtlicher Rahmen geschaffen werden muss, um das Pooling von Leistungen bei persönlicher Assistenz organisatorisch abbilden zu können (wer ist Arbeitgeber, wie wird verrechnet etc.).

Das Zwangspoolen muss durch eine Freiwilligkeitsklausel bzgl. der gemeinschaftlichen Erbringung von Assistenzleistungen ersetzt und dadurch die Gleichberechtigung der Menschen mit Behinderungen unmittelbar in der Praxis umgesetzt werden.

3. Kostenvorbehalt abschaffen, Wunsch- und Wahlrecht stärken!

Gem. § 104 Abs. 2 SGB IX werden Leistungen der Assistenz unter Kostenvorbehalt gestellt und nur gewährt, wenn sie „angemessen“ sind.

Dies ist eine Abschwächung des bestehenden Wunsch- und Wahlrechts (§ 8 SGB IX) und damit im Widerspruch zur UN-Behindertenrechtskonvention.

Die Schwächung des Wunsch- und Wahlrechts durch den Kostenvorbehalt in §104 SGB IX muss beendet und der uneingeschränkte Zugang zu erforderlichen Assistenzleistungen garantiert werden. Der Ort der Leistungserbringung darf hierbei keine Rolle spielen.

4. Assistenz für ehrenamtliche Tätigkeit von Assistenznehmern sicherstellen!

Gem. § 78 Abs. 5 SGB IX werden Leistungen der Assistenz für die Ausübung eines Ehrenamts unter eine Zumutbarkeitsprüfung unentgeltlicher Erbringung dieser Assistenz gestellt. Demnach soll die notwendige Unterstützung für die Ausübung eines Ehrenamts vorrangig familiär, freundschaftlich oder nachbarschaftlich erbracht werden.

Dies steht im Widerspruch mit der UN-BRK und der Forderung nach gleichberechtigter Partizipation.

Der Vorrang familiärer, freundschaftlicher oder nachbarschaftlicher Erbringung von Assistenz für die Ausübung von Ehrenämtern muss entfernt werden.