Keine Wahlfreiheit für Menschen mit Assistenzbedarf
In der Realität wird das Wunsch- und Wahlrecht gerade bei Menschen mit hohem Unterstützungsbedarf, die beispielsweise auf eine Rund-um-die-Uhr-Assistenz angewiesen sind, oftmals unterlaufen. Denn das deutsche Recht normiert in den §§ 9 Abs. 2 und 13 Abs. 1 SGB XII den sog. Mehrkostenvorbehalt:
Wünschen der Leistungsberechtigten, die sich auf die Gestaltung der Leistung richten, soll entsprochen werden, soweit sie angemessen sind. Wünschen der Leistungsberechtigten, den Bedarf stationär oder teilstationär zu decken, soll nur entsprochen werden, wenn dies nach der Besonderheit des Einzelfalles erforderlich ist, weil anders der Bedarf nicht oder nicht ausreichend gedeckt werden kann und wenn mit der Einrichtung Vereinbarungen nach den Vorschriften des Zehnten Kapitels dieses Buches bestehen. Der Träger der Sozialhilfe soll in der Regel Wünschen nicht entsprechen, deren Erfüllung mit unverhältnismäßigen Mehrkosten verbunden wäre.
Die Leistungen können entsprechend den Erfordernissen des Einzelfalles für die Deckung des Bedarfs außerhalb von Einrichtungen (ambulante Leistungen), für teilstationäre oder stationäre Einrichtungen (teilstationäre oder stationäre Leistungen) erbracht werden. Vorrang haben ambulante Leistungen vor teilstationären und stationären Leistungen sowie teilstationäre vor stationären Leistungen. Der Vorrang der ambulanten Leistung gilt nicht, wenn eine Leistung für eine geeignete stationäre Einrichtung zumutbar und eine ambulante Leistung mit unverhältnismäßigen Mehrkosten verbunden ist. Bei der Entscheidung ist zunächst die Zumutbarkeit zu prüfen. Dabei sind die persönlichen, familiären und örtlichen Umstände angemessen zu berücksichtigen. Bei Unzumutbarkeit ist ein Kostenvergleich nicht vorzunehmen.
Obwohl die UN-Behindertenrechtskonvetion seit 2009 geltendes Recht in Deutschland ist, wird aufgrund des Mehrkostenvorbehalts immer noch Menschen mit Assistenzbedarf ein selbstbestimmtes Leben durch Behörden verweigert. Dies belegen zum einen offizielle Statistiken, zum anderen konkrete Fallbeispiele. Dies rügte auch der UN-Fachausschuss für die Rechte von Menschen mit Behinderung (CRPD) in seinen abschließenden Empfehlungen an Deutschland zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention Ende April 2015:
Der Ausschuss empfiehlt dem Vertragsstaat,
(a) Schritte zur Novellierung von § 13 Abs. 1 Satz 3 des Zwölften Buchs des Sozialgesetzbuchs zu unternehmen, mit dem Ziel, mit Hilfe umfangreicherer sozialer Assistenzdienste Inklusion, Selbstbestimmung und die Entscheidung, in der Gemeinschaft zu leben, zu ermöglichen;
(b) ausreichende Finanzmittel verfügbar zu machen, um die Deinstitutionalisierung und selbstbestimmtes Leben zu fördern […];
(c) den Zugang zu Programmen und Leistungen zu verbessern, die das Leben in der Gemeinschaft unterstützen und behinderungsbedingte Aufwendungen decken.
Das Netzwerk für Inklusion, Teilhabe, Selbstbestimmung und Assistenz fordert die sofortige Abschaffung des Mehrkostenvorbehalts und die uneingeschränkte Umsetzung des Wunsch- und Wahlrechts.