Faktencheck Beteiligungsprozess
Zitat aus dem Referentenentwurf zum BTHG
„Die Inhalte dieses Gesetzes wurden in einem breit angelegten Beteiligungsprozess vorab mit den Betroffenen und Institutionen erörtert. Zu diesem Zweck hat die Bundesministerin für Arbeit und Soziales die hochrangige „Arbeitsgruppe Bundesteilhabegesetz“ eingesetzt. Nach dem Grundsatz der Selbstvertretung der Menschen mit Behinderungen „Nichts über uns ohne uns“, […] stellten die Menschen mit Behinderungen und ihre Verbände die größte Anzahl an Mitgliedern in der Arbeitsgruppe.“ (S. 186)
Die Fakten
Die Grafik zeigt, wie sich der breit angelegte Beteiligungsprozess zum Bundesteilhabegesetz rückblickend darstellt. Tatsächlich tagte im Zeitraum von Juli 2014 bis April 2015 die sog. Arbeitsgruppe Bundesteilhabegesetz in insgesamt neun Sitzungen. Dabei wurden wichtige Reformthemen, wie z.B. das Wunsch- und Wahlrecht oder die Einkommens- und Vermögensanrechnung erörtert. Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) betont in diesem Zusammenhang immer wieder, so auch im Referentenentwurf zum Bundesteilhabegesetz, die vorbildliche Beteiligung von „Menschen mit Behinderung und ihrer Verbände“. Schaut man auf die tatsächlichen Zahlen, kann man die Formulierung „stellten Menschen mit Behinderung und ihre Verbände die größte Anzahl“ nur als Täuschung verstehen. Von insgesamt 30 Teilnehmern in der Arbeitsgruppe sind 10 Mitglieder des Deutschen Behindertenrates (DBR). Unerwähnt bleibt im Referentenentwurf außerdem, dass die Arbeitsgruppe keinerlei Entscheidungskompetenz innehatte und wer die Kontrahenten der 10 DBR-Arbeitsgruppenmitglieder waren: Bund, Länder, Kommunen, Träger der Sozialhilfe (z.B. Bundesarbeitsgemeinschaft der überörtlichen Träger der Sozialhilfe, BAGüS) sowie die Sozialversicherung. So überrascht es nicht, dass es zu allen wesentlichen Reformthemen, wie z.B. den zuvor genannten, keinen Konsens gab (vgl. Abschlussbericht der Arbeitsgruppe).
Die zahlenmäßig starke Präsenz des DBR in der Arbeitsgruppe Bundesteilhabegesetz hat sich aufgrund der weitaus mächtigeren Kontrahenten folglich auch nicht im Referentenentwurf niedergeschlagen. Statt Verbesserungen beim Wunsch- und Wahlrecht zu erzielen, müssen sich nun Menschen mit Behinderung gegen das sog. „Zwangspoolen“ wehren, das auf Betreiben der Sozialhilfeträger im Referentenentwurf aufgenommen wurde (siehe Faktencheck Wunsch- und Wahlrecht). Vermeintliche Verbesserungen bei der Einkommens- und Vermögensanrechnung, die sich tatsächlich als Verschlechterungen entpuppen (siehe Faktencheck Einkommensanrechnung), werden sogar vom Deutschen Städte- und Gemeindebund (DStGB) mit den Worten kommentiert: „Im vorliegenden Referentenentwurf seien eine Reihe von Leistungsverbesserungen, wie zum Beispiel […] die Verbesserungen bei der Anrechnung von Einkommen und Vermögen vorgesehen. Dies werde zu erheblichen Mehrbelastungen unter anderem für Kommunen führen.“
Die Grafik zeigt, dass von einem Kräftegleichgewicht der Akteure im Beteiligungsprozess zum Bundesteilhabegesetzes nicht die Rede gewesen sein kann. Tatsächlich haben sich die Länder, Kommunen und die übermächtigen Träger der Sozialhilfe in nahezu allen Bereichen mit ihren Forderungen durchgesetzt. Der Beteiligungsprozess fand zwar „nicht ohne uns“, dafür aber „über uns“ statt. Eine Alibibeteiligung, die jetzt vom BMAS als Rechtfertigung für einen misslungenen Referentenentwurf herangezogen wird.
Stand: 27.05.2016