Teilhabe konkret: Forderungen aus dem Alltag von Menschen mit Assistenzbedarf

Podiumsdiskussion mit Constantin Grosch, Matthias Grombach, Rüdiger Otto, Lucy Wilke und Silvia Schmidt (Moderation)

Podiumsdiskussion "Teilhabe konkret"

Podiumsdiskussion „Teilhabe konkret“

Nachfolgend die wichtigsten Aussagen, Publikumsfragen und Antworten zur Podiumsdiskussion. Es handelt sich hierbei um ein Gedächtnisprotokoll, das zum leichteren Verständnis aus stichpunktartigen Notizen sinngemäß ausformuliert wurde. Daher kann es sein, dass die Podiumsteilnehmer und die Publikumsanmerkungen ggf. nicht immer absolut detailgetreu widergegeben wurden.


Silvia Schmidt: „Warum diese Petition? Will man mehr Geld? Reicht das denn nicht?“

Constantin Grosch: „Wenn man fertig ist mit der Schule und gerade anfängt zu studieren, da macht man sich keine großen Gedanken über das Geldverdienen. Aber man macht sich natürlich Gedanken‚ wo will man mal hin? Was ist eigentlich das Ziel? Warum studiere ich überhaupt? Man möchte sich hinterher ein Leben, eine Existenz aufbauen. Als ich dann bei Aktion Mensch im Blog gelesen habe, Menschen mit Behinderung dürfen nicht mehr als 2.600 € haben, dann habe ich kurz nachgedacht und gesagt, dann bräuchte ich auch kein Jura studieren.“

Constantin Grosch: „Es ist schon frappierend, dass wir von Eingliederungshilfe sprechen. Aber man darf schon die Frage stellen, was soll denn dort eigentlich eingegliedert werden? Also ich bin Student, habe einen 400-Euro-Job nebenbei. Ich möchte später einmal arbeiten, eine eigene Wohnung. Ich bin in diesem Sinne eigentlich eingegliedert. Zumindest würde ich mich selber so bezeichnen. Ich weiß gar nicht, warum ich jetzt noch Hilfe bei der Eingliederung brauche? Sondern vielmehr brauche ich die Rechte, wie alle anderen Menschen auch.“

Constantin Grosch: „Die Forderung ist ja nicht, dass jeder Mensch mit Behinderung einen Anspruch auf Geld hat, sondern die Forderung ist, wenn ich mein eigenes Potential nutze – wovon ich überzeugt bin, dass das jeder Mensch hat –, dass er dieses bitte auch nutzen darf und sein erwirtschaftetes Einkommen und Vermögen auch verwerten darf. Ich glaube, das ist eine völlig legitime und keine überzogene Forderung.“

Silvia Schmidt: „Matthias, Du warst in einem Altenheim. Wie ist es überhaupt dazu gekommen? Und wie war Dein Weg dort wieder raus?“

Matthias Grombach: „Nach dem Badeunfall, den ich 1991 hatte, und mit der Querschnittlähmung, die ich mir dadurch zugezogen habe, war ich nach all den Krankenhaus- und Reha-Aufenthalten auch wieder sehr froh, in mein Elternhaus zurückzukommen. Meine Eltern haben mich aufopferungsvoll 13,5 Jahre lang versorgt. Es war in Zeiten, als es nicht mehr ging, z.B. wegen der Krankheit meiner Mutter. Mein Vater ist auch schon älter. Und genau in der Situation, als ich im Krankenhaus war, war klar, es geht einfach nicht mehr zurück. Ich und meine Eltern waren zu diesem Zeitpunkt schlecht informiert, und da haben wir uns an das Sozialamt gewandt und die beraten eben so, dass sie nicht viel Geld ausgeben müssen. Assistenz und ambulantes Wohnen war gar nicht im Gespräch gewesen. Die haben sich nur daran orientiert, ob irgendwo ein Heimplatz frei ist, und so bin ich ins Heim gekommen, wobei ich dem nur kurzfristig zugestimmt habe. Ich habe schnell festgestellt, dass ich nicht mein ganzes Leben dort verbringen möchte. Ich habe mich dann über das Persönliche Budget informiert und nach einem Jahr einen Antrag auf ein Persönliches Budget gestellt. Das hat sich dann lange hingezogen, sodass ich mir einen Anwalt genommen und geklagt habe.“

Silvia Schmidt: „Eine Nachfrage: Wir wissen, dass es zu diesem Zeitpunkt schon viele Beratungsstellen gab. Ist niemand auf Dich zugekommen? Im Krankenhaus gibt es ja ein Entlassmanagement.“

Matthias Grombach: „Überhaupt nicht. Das ist nicht passiert. Es ist nicht zu glauben, dass man eine kranke Mutter mit behindertem Sohn dermaßen im Stich lässt.“

Silvia Schmidt: „Herr Otto, Sie tun genau das, wofür Herr Grombach gekämpft hat, nämlich ein Assistenzmodell als Fallmanager begleiten. Scheinbar will die Stadt Potsdam so was nicht. Ich habe das noch nie gehört und bin jetzt sehr gespannt.“

Rüdiger Otto: „Wie komme ich dazu? Ich kenne Oliver [Assistenznehmer] aus der Vereinsarbeit, und als er Hilfe brauchte, stand er irgendwann vor der Tür. Dann habe ich mir die Stadtverwaltung angesehen, die ja ein Dienstleister sein soll. Die machen natürlich alles andere als eine Dienstleistung zu gewähren. Sie verweigern sich der Dienstleistung.“

Rüdiger Otto: „Es ist kein Geld da für Behinderte, aber zigtausend Euro für Klagen. Mit Oliver habe ich 8 Gerichtsprozesse gehabt. Wir haben keinen verloren. Aber jetzt muss man sich vorstellen, dass seit 2,5 Jahren die Assistenten von Oliver entweder unterbezahlt sind, oder sie kriegen zu spät Lohn, oder es tritt beides ein. Was ist in der Stadt Potsdam los? Es gibt einen Rechtsanspruch auf Persönliches Budget, und dann stellt sich ein leitender Stadtbediensteter hin und sagt ‚Wir wollen das nicht.’ Da fällt einem nichts mehr dazu ein.“

Silvia Schmidt: „Wir haben eine Künstlerin aus München in der Runde. Sie hat sogar eine Wohnung in München. Wie kann man eine Wohnung in München bezahlen? Barrierefreie Wohnungen sind ja besonders teuer.“

Lucy Wilke: „Es war sehr schwer, eine Wohnung zu finden. Es gibt zwar in Neubauten jetzt öfters barrierefreie Wohnungen, ich habe aber dennoch drei Jahre gebraucht, bis ich die Wohnung bekommen habe. Diese Wohnung wurde mir auch nicht vom Wohnungsamt vorgeschlagen. Die haben mir unmögliche Wohnungen unterbreitet, auch eine im Altenheim und öfters welche mit Stufen.“

Silvia Schmidt: „Klagen, einfach klagen. Constantin, wie sieht das aus?“

Constantin Grosch: „Klagen ist so eine Sache. Es ist erst mal immer ein Stück Risiko für diejenigen, die klagen. Es ist anstrengend und kostet sehr viel Kraft. Ich kann jeden verstehen, der das nicht möchte. Die viel interessantere Frage ist, warum müssen wir überhaupt für Rechte klagen, die verbrieft sind? Die UN-BRK sagt ganz eindeutig, was unsere Rechte sind. Wir haben aber ein Problem, unsere Individualrechte durchzusetzen. Da gibt es leider noch viele Unklarheiten, auch unter Rechtsexperten. Ich glaube, wir müssen diesen Diskurs ganz anders führen. Ich glaube, es bringt nichts, immer einzeln zu klagen. Das bringt nur der klagenden Person etwas. Was wir brauchen, ist eine Grundsatzentscheidung, an die sich endlich mal alle halten. Man müsste mal bis zum Bundesverfassungsgericht durchkommen. Das Problem ist, dass es vorher meist zum Vergleich kommt. Außerdem müssen wir im öffentlichen Diskurs den volkswirtschaftlichen Nutzen mehr rausstellen. Es wird viel zu selten betont, dass ich Arbeitgeber bin, der Arbeitsplätze schafft.“

Silvia Schmidt: „Politiker haben Angst vor höchstrichterlichen Entscheidungen. Ich möchte nur daran erinnern, dass eine Kommune verklagt wurde, weil sie keine Kindertagesplätze anbieten konnte und diese musste dann den Eltern den Lohnausgleich zahlen. Alle Kommunen klingeln jetzt bei den Ministerien an.“

Constantin Grosch: „Vielleicht können wir mal einen Ausblick zum Bundesteilhabegesetz machen. Das Erste ist immer, es darf keine neue Ausgabendynamik entstehen. Das bedeutet aber auf der anderen Seite, wenn wir die Qualität und das Angebot erweitern wollen, muss eben wo anders gekürzt werden. Wie das gehen soll, sehe ich momentan nicht. Zweiter Punkt ist, wie das Bundesteilhabegesetz umgesetzt werden kann. Es soll bis Ende des Jahres einen Gesetzentwurf geben. Aber wir sehen ja jetzt schon, dass es Probleme bei der Finanzierung gibt. Wenn ich mir den Einkommens- und Vermögensteil ansehe, dann läuft ja alles darauf raus, dass es eine Erhöhung der Einkommens- und Vermögensgrenzen geben soll, aber keine Abschaffung. Da haben wir auf jeden Fall noch viel zu kämpfen. Wir müssen uns konkret ansehen, wer das im Moment verhindert. Da wäre das Finanzministerium zu nennen. Und wir müssen aufpassen, dass die Kommunen und Länder, die bisher immer noch dahinter standen, ein Bundesteilhabegesetz unverzüglich umzusetzen, uns jetzt nicht wegbrechen, da sie jetzt über andere Stellen entlastet werden. Das sind diejenigen, die wir in nächster Zeit angehen müssen.“

Rüdiger Otto: „Meine Erfahrung ist, dass ein erhebliches Einsparpotential existiert, wenn die Sozialträger untereinander sich besser vernetzen und mal lernen, zusammen zu arbeiten. Ich bin immer etwas vorsichtig mit neuen Gesetzen, neuen Regelungen. Die Gesetze, die da sind, ordentlich angewendet, würden wahrscheinlich effizienter sein, als ein neues Bundesteilhabegesetz zu schaffen.“

Silvia Schmidt: „Wir brauchen ein Gesetz mit Sanktionen. Die müssen dann auch umgesetzt werden. Es gibt bereits heute Wochen-Fristen bzgl. des Erlassens eines Bescheids. Das wird aber einfach nicht umgesetzt.“

Publikumsanmerkung I: „Die Aussage, dass die bestehenden Gesetze ausreichen würden und nur richtig umgesetzt werden müssen, halte ich für grundfalsch, weil das SGB XII zum Beispiel festschreibt, dass uns unser Einkommen und Vermögen weggenommen wird. Das sind diskriminierende Gesetze. Die kann man nicht umsetzen. Solche Gesetze muss man abschaffen und durch richtige Gesetze ersetzen.“

Publikumsanmerkung II: „Ich glaube, wir müssen auch immer im Augen behalten, dass das Verbot zusätzlicher Kostendynamik darauf beruht, dass überhaupt nicht korrekt ermittelt wird, wie sich die Kosten eigentlich darstellen. Z.B. die Refinanzierung durch Jobs, die durch Assistenzstellen geschaffen werden. Aber dieses Thema wird eben nur isoliert betrachtet.“

Matthias Grombach: „Constantin, was muss in einem Bundesteilhabegesetz drin stehen, damit man sagen kann, es ist ein gutes Bundesteilhabegesetz?“

Constantin Grosch: „Eines ist ja klar; Die Einkommens- und Vermögensanrechnung muss dadurch abgeschafft werden. Dann muss das Gesetzt möglichst offen gestaltet werden, damit es die vielen verschiedenen Lebenslagen behinderter Menschen erfasst. Denn auch Menschen mit Behinderungen wohnen und leben unterschiedlich. Wenn in dem Gesetz gefasst wird, dass ich problemlos Beratung erhalte, beantrage und genehmigt bekomme, dann ist das ein gutes Bundesteilhabegesetz. Das haben wir im Moment nicht. Wenn ich mir z.B. ansehe, dass wir derzeit keine unabhängigen Beratungsstrukturen haben, dann weiß ich gar nicht, wie das anders gehen soll.“

Publikumsanmerkung: „Ich habe eine Assistentin, aber das Sozialamt bestimmt, wie viele Stunden sie arbeitet.“

Constantin Grosch: „Ich glaube, wir bauchen eine Vermutensregelung. Es ist sinnvoll, den Spieß umzudrehen. Wenn wir eine Vermutensregelung einführen und sagen: Grundsätzlich vermuten wir, dass ein Mensch mit Behinderung eine Assistenz, eine Pflege braucht, dann ist nämlich die Behörde am Zug, mir zu beweisen, dass ich diese Hilfe nicht brauche. Heute ist es andersrum. Ich muss nachweisen, z.B. durch irgendwelche Gutachter vom Medizinischen Dienst der Krankenkasse (MDK), ob ich die Hilfe brauche oder nicht.“

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