Bundesteilhabegesetz

Warum ist das Bundesteilhabegesetz nicht unser Gesetz?

Demo zum Bundesteilhabegesetz am 22. September, Copyright: Jörg Farys | Gesellschaftsbilder.de

Das Gesetz zur Stärkung der Teilhabe und Selbstbestimmung von Menschen mit Behinderungen, wie das Bundesteilhabegesetz vollständig bezeichnet wird, stärkt Mitnichten die Teilhabe und Selbstbestimmung.

  1. Das Wunsch- und Wahlrecht wurde entgegen aller Beteuerungen nicht gestärkt, sondern durch die Aufhebung der Unterscheidung zwischen ambulant und stationär sogar geschwächt. Bislang galt der Grundsatz „ambulant vor stationär“. Dieser Vorrang entfällt nun und wurde nicht durch den Vorrang inklusiver Leistungen kompensiert.
  2. Die Leistungen stehen nach wie vor unter Kostenvorbehalt und werden nur bei Angemessenheit gewährt. Ein Kostenvergleich wird i.d.R. nur mit Leistungsanbietern erfolgen, die im unteren Drittel liegen.
  3. Die gemeinsame Erbringung von Leistungen gegen den Willen der Betroffenen (sog. Zwangspoolen) verhindert ein selbstbestimmtes Leben behinderter Assistenznehmer/-innen. Zwangsgemeinschaften behinderter Menschen, Verlust von Individualität und Verhinderung der Auswahl der eigenen Assistenten/-innen sind die Folge. Pooling persönlicher Assistenz darf es nur mit Zustimmung der Betroffenen geben.
  4. Das Bundesteilhabegesetz sieht einen monatlich vom Nettoeinkommen zu erbringenden Kostenbeitrag i.H.v. 2% des rund 30.000 € übersteigenden jährlichen Bruttogehalts vor. Der Beitrag muss monatlich vom Nettoeinkommen gezahlt werden, berechnet wird er aber vom übersteigenden jährlichen Bruttoeinkommen. Hierdurch wird die tatsächliche Höhe des Beitrages, nämlich 24% des übersteigenden Einkommens, verschleiert. Der Beitrag ist insbesondere unter Berücksichtigung von Mehrkosten behinderter Menschen zu hoch. Gleichberechtigte Teilhabe mit nichtbehinderten Kollegen/-innen wird so verhindert.
  5. Rechenbeispiele des BMAS, die zu Verbesserungen bei der Einkommensanrechnung kamen, gingen von Pflegestufe II aus (heute Pflegegrad 3). Personen mit Pflegestufe III (Pflegegrad 4 und 5) werden aber aufgrund ihrer besonderen Belastungen derzeitig hinsichtlich der Höhe des Eigenanteils privilegiert (§ 87 Abs. 1 SGB XII). Für diese Personen ist der neue Eigenanteil höher (z.B. Jahresgehalt von 50.000 € – Beitrag nach geltendem Recht: ca. 220 € pro Monat; nach neuem Recht: ca. 400 € im Monat). Gleichzeitig finden behinderungsbedingte Mehrkosten keine Berücksichtigung mehr (z.B. hohe Miete für barrierefreien Wohnraum in Ballungsgebieten). Der Bestandsschutz (§ 150) ist lückenhaft und nutzt zukünftigen Generationen nichts. (weitere Informationen im NITSA-Blog BMAS beantwortet Fragen zum Einkommenseinsatz ausweichend)
  6. Ein Vermögen von 50.000 € ist weiterhin weit unter durchschnittlichem Vermögen bei Renteneintritt (178.480 € laut Institut der deutschen Wirtschaft).
  7. Es gibt keine Perspektive für eine vollständige Einkommens- und Vermögensunabhängigkeit von Assistenzleistungen.
  8. Die Kosten der neuen Einkommens- und Vermögensanrechnung wurden mit rund 200 Mio. € weit überschätzt. Geld, das eigentlich den Menschen mit Behinderungen zu Gute kommen sollte, wird dadurch in den Haushalten der Länder und Gemeinden zweckentfremdet verausgabt. (weitere Informationen im NITSA-Blog Kosten der neuen Einkommens- und Vermögensanrechnung weit überschätzt)