Faktencheck Wunsch- und Wahlrecht
Zitat aus dem Referentenentwurf zum BTHG
§ 116 (Pauschale Geldleistung, gemeinsame Inanspruchnahme)
„Die Leistungen zur Assistenz […] können an mehrere Leistungsberechtigte gemeinsam erbracht werden, soweit dies nach § 104 für die Leistungsberechtigten zumutbar ist […]. Maßgeblich sind die Ermittlungen und Feststellungen im Rahmen der Gesamtplanung […].“
§ 104 (Leistungen nach der Besonderheit des Einzelfalles)
„Bei der Prüfung der Angemessenheit […] ist zunächst die Zumutbarkeit einer von den Wünschen des Leistungsberechtigten abweichenden Leistung zu prüfen. Dabei sind die persönlichen, familiären und örtlichen Umstände und die Verhältnisse des Sozialraums sowie der eigenen Kräfte und Mittel zu würdigen. Bei Unzumutbarkeit einer abweichenden Leistungsgestaltung ist ein Kostenvergleich nicht vorzunehmen.“
Die Fakten
Die Grafik zeigt, wie das Wunsch- und Wahlrecht mit der zwangsweisen gemeinsamen Inanspruchnahme von Assistenzleistungen durch mehrere Menschen mit Behinderung eingeschränkt statt gestärkt wird. Die gemeinschaftliche Erbringung von Leistungen ist in dieser Form bislang nur in Heimen üblich. Da aber die Unterscheidung zwischen ambulant, teilstationär und stationär mit der Personenzentrierung aufgehoben werden soll, wird das „Heimprinzip“ nun auch auf den ambulanten Bereich übertragen. Das hat zur Folge, dass insbesondere Menschen mit hohem Assistenzbedarf wieder in Einrichtungen oder heimähnliche Strukturen gezwungen werden, die ihre Versorgung momentan z.B. über das Arbeitgeber-/Assistenzmodell sicherstellen, weil vergleichbare Leistungen von anderen Leistungserbringern, mit denen der Kostenträger eine vertragliche Vereinbarung hat, kostengünstiger sind.
Die Beschränkung beim Wunsch- und Wahlrecht auf die „angemessenen“ Wünsche statt auf die berechtigten zeigt darüber hinaus, dass nicht die Eignung der Leistungen im Vordergrund steht, sondern die Kosten der Maßnahme. Dabei kann eine Leistung auch unter wirtschaftlichen Aspekten die beste sein, obwohl sie nicht die kostengünstigste ist.
Schlussendlich wird die Entscheidung über die Angemessenheit der Leistung durch den Kostenträger im Rahmen der Gesamtplanung getroffen, zumal die „[…] zuständigen obersten Landesbehörden oder die von ihnen beauftragten Stellen […] das Nähere zur Höhe und Ausgestaltung der Pauschalen sowie zur Leistungserbringung“ regeln sollen (vgl. § 116 Abs. 1 BTHG). Das bedeutet, dass 16 verschiedene Regelungen im gesamten Bundesgebiet entstehen und als angemessen nur die kostengünstigste Variante gilt. Dabei werden Teilhabeleistungen zur selbstbestimmten Lebensführung aufgrund des Fortbestands von Behinderteneinrichtungen und Heimen einem Kostenvergleich mit eben diesen Anstalten unterworfen, der fachlich nicht begründbar ist.
In der Einführung des Bundesteilhabegesetzes wird behauptet, das Wunsch- und Wahlrecht und die Selbstbestimmung behinderter Menschen würden durch das Gesetz gestärkt. Das Gegenteil ist der Fall: Das Bundesteilhabegesetz schwächt das Wunsch- und Wahlrecht und die Selbstbestimmung behinderter Menschen! Das völlig neu geschaffene Instrument des Zwangspoolings ist ein gewaltiger Schritt Richtung Heimunterbringung und steht den Grundgedanken und -prinzipien von Assistenz völlig entgegen. Gelten heute Begriffe wie „angemessen“ und „zumutbar“ im juristischen Sinne als geklärt, stellt die Neugestaltung der Normen erneut wieder alles in Frage. Die Leistungsberechtigten müssen wieder Ansprüche nach dem neuen Recht vor Gericht erstreiten, wenn sie sich mit dem Kostenträger nicht einigen können. Menschen mit Assistenzbedarf werden so weiterhin aus Kostengründen in Einrichtungen gedrängt.
Stand: 19.05.2016